Warum ein Weinkauf einen Nervenzusammenbruch verursachen kann, feinen Riesling und die großen Fragen im Leben. Eine Wein-Sartire.
Ich würde von mir behaupten, dass ich ein wahrhaftiger Genießer bin. Ich liebe gutes Essen und liebevoll hergestellte Produkte aus hochwertigen Grundzutaten. Ich kenne mich sehr gut mit Tee aus und ich nehme mir auch ganz bewusst Zeit für meinen Genuss. Und ich weiß, dass Genuss mehr ist als nur gutes Essen und Trinken – es ist eine Lebenseinstellung. Diese Lebenseinstellung ist meine Leidenschaft, daher betreibe ich auch einen Blog zum Thema Genuss. Da sollte man meinen, ich würde mich gut mit Wein auskennen.
Doch ich gebe es direkt am Anfang zu: Ich bin kein Weinkenner. Vielleicht werde ich es noch, aber bis dahin kann noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen.
Wenn ich ganz ehrlich bin, hat meine „Weinkarriere“ mit Lambrusco angefangen – ja genau, dem pappsüßen Zeug aus der 1,5 Liter-Flasche für 3 €. Damals war ich noch jung und das Geld war knapp, doch für einen heiteren Abend war gesorgt. Darauf folgte die Longdrink- und Cocktail-Zeit mit wahlweise wahnsinnig süßen oder ganz schön starken alkoholischen Mischungen. Doch jetzt, mit mittlerweile Ende zwanzig, bin ich dann doch wieder beim Wein gelandet. Kein Lambrusco natürlich, ich habe ja mittlerweile etwas mehr Geschmack und Anspruch entwickelt. Ich esse ja auch kein Nudel-Fertiggericht aus der Plastikdose mehr, auch wenn das in Bezug auf Zeiteffizienz einige Vorteile mit sich bringen würde. Doch diese Zeit ist vorbei, ich wähle sorgfältig aus, welche Produkte meinen Mund passieren dürfen.
Und doch, jedes Mal wieder vor dem Weinregal – ob nun beim Weinhändler meines Vertrauens oder im örtlichen Supermarkt – höre ich immer wieder diese leise Stimme in meinem Hinterkopf: „Du hast doch gar keine Ahnung von Wein! Was willst du hier?“ Ich schleiche durch die Gänge und bin mir sicher, dass mir alle andern Personen meine Planlosigkeit ansehen. Auf der Stirn geschrieben steht es mir: ehemaliger Lambrusco-Trinker! Ich bin gebrandmarkt fürs Leben.
Auf der Stirn geschrieben steht es mir: ehemaliger Lambrusco-Trinker!
Doch nicht nur im Supermarkt, auch bei Weinproben, Verkostungstheken, auf Messen oder im Restaurant: Ein Schluck Wein wird mir mit ausschweifender Beschreibung unter die Nase gehalten, ich atme tief ein. Der edle Rebensaft passiert meinen Mund, in meinem Mundraum entfalten sich die Aromastoffe. Ich schlucke und spüre dem Geschmack nach.
Und er schmeckt….gut! Oder eben nicht. Und viel mehr weiß ich über Wein auch oft nicht mehr zu sagen. Entweder sagt er mir zu oder eben nicht, er ist vielleicht zu süß oder zu trocken, vielleicht auch noch zu sauer. Diese drei Unterschiede kann ich noch benennen, aber da hört es dann auch schon auf.
Mein Gegenüber schaut mich derweil erwartungsvoll an: „Und?“ „Ääh ja, ist lecker, so schön fruchtig“ Das kann man von eigentlich jedem Wein behaupten – genauso wie „Er ist vollmundig.“ Was soll das eigentlich heißen? Mein Gegenüber schaut mich dann meist ein bisschen enttäuscht an und ich merke, er hätte mehr erwartet. Da freudige Flackern erlischt in seinen Augen. Sorry, mit mehr kann ich nicht dienen. Mir fehlt zu dem fehlenden Wissen über Wein auch das nötige Vokabular, um diesen adäquat zu beschreiben.
Es ist also immer dasselbe: Kurz vor dem Wochenende schleiche ich durch die Supermarktgänge und warte auf eine göttliche Eingebung. Die kommt aber nie. Ich betrachte andere Personen um „abzugucken“, wie früher in der Schule, wenn man nicht für den Vokabeltest gelernt hat. Glaube dann aber, dass die anderen bestimmt nicht meinen Geschmack haben und verwerfe die Idee wieder. Die trinken bestimmt Rotwein, der so staubrocken ist, dass es mir der Mund zusammenziehen lässt und alle Feuchtigkeit aus meinem Mund förmlich heraussaugt. Ich weiß, dass ich halbtrockenen Riesling mag, aber soll man immer dasselbe trinken?
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen feinherb und halbtrocken? Und wäre es nicht mal Zeit für etwas Neues, Aufregendes? Vielleicht stelle ich ja plötzlich fest, dass ein Gewürztraminer oder ein Weißburgunder der Gipfel der Glückseligkeit ist? Was, wenn ich irgendwann auf dem Sterbebett liege und feststelle, dass ich die wahren Geschmackshighlights in meinem Leben verpasst habe?
Bin ich ein tussiger Chardonnay-Typ –
oder doch eher ein bodenständiger Pinot Noir?
Es gibt tausende Fragen, die sich beim Weineinkauf stellen: Passt es zum Abendessen? Bin ich ein tussiger Chardonnay-Typ oder doch eher ein bodenständiger Pinot Noir? Macht es wirklich einen Unterschied, ob ein Wein 5 oder 15 € kostet oder bildet man sich den besseren Geschmack nur ein?
Und warum lassen Weinproduzenten Menschen wie mich verzweifeln und beschreiben nicht den Geschmack auf dem Weinetikett? Aus welcher Region oder Land soll ich meinen Wein beziehen? Ist es rassistisch, wenn ich deutschen Wein am liebsten mag?
Auf die großen Fragen im Leben erhält man selten eine Antwort. Während ich weinend zwischen hunderten Weinsorten zusammenbreche und diese nervende Supermarktmusik mich zu verhöhnen scheint, fasse ich einen verzweifelten Entschluss: Ich werde auf all diese Fragen eine Antwort finden! Vielleicht nicht heute oder morgen, aber bald!
Ich werde den Wein bezwingen und stundenlang über das Aroma schwadronieren bis der Morgen graut. Ich werde schmecken, ob der Wein lange genug geatmet hat, die bösen Tannine raus sind und ob der Wein korkt. Das alles werde ich wissen. Und bis dahin trinke ich weiter meinen halbtrockenen / feinherben Riesling von der Mosel. Prost!
Sie haben doch die wichtigste Frage, bzw. Aussage schon getroffen: Er schmeckt, oder er schmeckt nicht. Wein ist ein Gebussmittel wie jedes andere auch, aber Wein erlaubt, ähnlich wie Zigarren oder andere Edelgetränke, eben ein wenig mehr Gedöns um ihn herum. Das Gedöns um den Wein herum macht ja gerade so viel Spaß; wenn fünf Leute an einem Tisch sitzen und einer erzählt von den wundervollen Beerennoten oder dem stahlischen Abgang des Rieslings, dann nicken meist, richtig, alle Anwesenden, auch wenn der Wein ganz wenig nach Beere, dafür mehr nach Pflaume mundet und der Abgang des Rieslings zwas stahlisch ist, aber das doch zu viel und zu deutlich.
Wein ist eine Geschmackssache, die schmecken muss. Lambrusco ist eine Einstiegsdroge in das Thema Wein, und die meisten Weintrinker werden wohl mit ähnlichen Weinen gestartet haben, denn wir sind alle jung gewesen und hatten kein Geld, wollten aber den Rausch des Weins genießen. Gefolgt von harten Alkoholdrogen wie Long Island Ice Tea und Wodka Red Bull schlichen die Jahre an uns vorüber und dan stellten wir fest, dass der Abend mit diesem leckeren Rotwein, der erst ohne Kopfschmerzen ist, und dann begannen die jahre zwischen den Weinregalen und auf den Verkostungsveranstaltungen der vielen gute Freunde, die über Jahre wahre Weinfanatiker wurden und uns jetzt die Brombeere und den stählernen Riesling darbieten.
Die Erfahrungen sind glaube ich alle ähnlich und ich schäme mich nicht auch mit Lambrusco und irgendeinem Amselfelder gestartet zu sein, aber ich freue mich, wenn eine Flasche Wein die ich nach dem Etikett gekauft habem auch noch gut schmeckt!
Vielen Dank für Ihren Beitrag! Entschuldigen Sie bitte, das dieser erst jetzt freigeschaltet wurde – er ist leider im Spam-Filter gelandet 🙂
Hallo Frau Thierfeld,
Kompliment, einfach klasse und zutreffend geschrieben. So manchen Winzer habe ich für meine Buchtexte bisher besucht, vieles gehört, manches nicht verstanden, edle Tropfen dort probiert.
Ob ich den Wein jemals „bezwingen“ werde, eine Prognose wage ich nicht abzugeben und so werde auch ich wieder am Weinregal verzweifeln, wenn der nächste Kauf ansteht, spätestens zu den bevorstehenden Festtagen.
In diesem Sinne ein wohl bekomms.
Viele Grüße
Jürgen Wölfer
Vielen Dank Herr Wölfer, es freut mich sehr, wenn Ihnen mein Text gefällt. Gerne warte ich auf Ihren Erfahrungsbericht über den Weinkauf für die Verwandtschaft zu Weihnachten 🙂