Über die Set-Point-Theorie, Mindful eating, intuitive vs. kontrollierte Esser und warum es Blödsinn ist, mit einer Diät abnehmen zu wollen. Es ist an der Zeit, dass wir verstärkt auf unseren Körper hören.
Ich hatte einen Plan: Ich wollte 10 Kilo abnehmen. Mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Ich wollte verschiedene Dinge 2 Wochen ausprobieren und dann entweder beibehalten oder etwas Neues versuchen. Im Zuge dessen habe ich bisher kohlenhydratreduziert gegessen, viel Wasser getrunken und angefangen, Sport zu treiben. Klar gibt es Ausrutscher, aber im Grunde mache ich dies nun seit ca. 8 Wochen so. Mein Erfolg ist aber mäßig – 2 Kilo habe ich abgenommen. Ständig geht mein Gewicht hoch und wieder runter. In Hinblick auf den ganzen Aufwand und die Gedanken, die man sich zum Thema essen macht, ist dies eine magere Ausbeute.
Bin ich ein willensschwacher Mensch?
Mein Freund hat einen wirklich eisernen Willen und ernährt sich radikaler: 4 Eiweißshakes am Tag, abends Gemüse und 1-2 Mal pro Woche Krafttraining. Das zieht er gnadenlos durch und ich habe großen Respekt davor. Der Erfolg stellt sich bei ihm definitiv ein, aber für mich ist Art der Ernährung nicht das Richtige, es hat nichts mehr mit Genuss zu tun. Ich bin davon überzeugt, dass Essen nicht die bloße Aufnahme von Kalorien ist, sondern auch Futter für die Seele, das es dem Körper gut tut. Das sich unser Körper vielleicht merkt, was wir ihm geben oder vorenthalten.
Das Thema Ernährung hängt mir total zum Hals raus
Fakt ist: ich diäte nun insgesamt seit etwa 1,5 Jahren. Vor 1,5 Jahren habe ich mit der Slow Carb-Ernährung begonnen und damit auch nach einigen Monaten 5 Kilo abgenommen. Durch einen Wohnortwechsel verfiel ich jedoch wieder in alte Essgewohnheiten und schwupps, waren die Kilos wieder drauf. Das ich mit dem Rauchen aufgehört habe, tat sein übriges dazu. Ich finde das ätzend: Sich 1,5 Jahre mit dem Thema ständig zu beschäftigen, ständig zurück zu halten und täglich auf die Waage zu steigen. Das Thema Ernährung hängt mir total zum Hals raus. Ich will wieder mehr genießen.
Ich habe meinen Körper aus der Fassung gebracht
Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Wenn ich sage „alte Essgewohnheiten“, heißt das nicht, dass ich mich mit Essen vollgestopft habe! Ich bin kein Fresser, sondern ein Genießer durch und durch. Ich esse z.B. nie so viel, dass ich pappsatt bin. Aber ich mag Nudeln und auch mal 4-5 Stücke Schokolade. Und ja, es war auch mal eine Pizza dabei. Aber ich bin kein Cola,- Cheesburger,- und doppelte Portionen- Typ. Und trotzdem nehme ich irre schnell zu. Ich glaube, mein Körper ist einfach durch den Wind und weiß gar nicht mehr, wie mein Idealgewicht aussieht. Ich habe ihn aus der Fassung gebracht.
Als ich vor ein paar Tagen recherchierte, was ich noch alles tun kann, um abzunehmen, stieß ich auf einen 20-minütigen Vortrag „Why dieting doesn’t usually work“ von der Neurowissenschaftlerin Sandra Aamodt auf der Website „Ted Talks“ (übrigens eine geniale Seite, ich bin süchtig danach!) Hier eine Kurzfassung:
Die Set-Point-Theorie
Unser Hunger wird von unserem Gehirn kontrolliert, dies geschieht meistens völlig unbewusst. Und unser Gehirn hat eine ganz eigene Vorstellung davon, wieviel wir wiegen sollte – unabhängig von dem, was wir uns wünschen. Dies wird die Set-Point-Theorie genannt. Unser Gehirn will uns nichts böses, sondern will unser Überleben sichern. Wenn wir längere Zeit übergewichtig sind, entscheidet das Gehirn folgendes: „Alles klar, dass ist dein idealer Normalzustand. Ich stelle meine Hormonausschüttung etc. darauf ein.“ Wenn wir jedoch abnehmen wollten, reagiert unser Gehirn, als ob wir sterben würden: Unsere Muskeln verbrennen weniger Energie und wir werden schneller hungrig. Die Kalorienzufuhr wird gesenkt. Ein erfolgreicher Diäter muss also sein Leben lang weniger essen als jemand, der nie dick war. Und der Set-Point, d.h. unser biologisch ideales Körpergewicht, kann auch ohne weiteres nicht verändert werden – erst nach etwa 7 Jahren stellt sich das Gehirn wieder auf ein niedrigeres Gewicht ein. So weit, so unschön, oder?
Intuitive vs. Kontrollierte Esser
Laut Sandra Aamodt gibt es 2 Ess-Typen: die, die auf ihren Körper hören „(“Intuitive Esser“) und die, die durch Willenskraft ihre Essverhalten kontrollieren wollen (“Kontrolliere Esser“) – wie es bei den meisten Diäten der Fall ist. Intuitive Esser sind seltener übergewichtig und denken viel weniger über die Ernährung nach. Dafür sind die Kontrollierten Esser viel empfänglicher für Werbung, Super-Size-Größe, Fastfood und All-you-can-eat Buffets.
Ganz rational gesehen: Wenn eine Diät erfolgreich wäre, hätte sie sich doch schon längst durchgesetzt oder? Jede würde sie machen und wir alle wären schlank. Aber statt auf unseren Körper zu hören, kaufen wir lieber den x-ten Diätratgeber oder das nächste Wundermittel. Fakt ist aber: Diäten rentieren sich nicht. 5 Jahre nach einer Diät haben die meisten ihr Ursprungsgewicht wieder – und 40 Prozent wiegen sogar mehr als vorher! Trotzdem gibt es jeden Tag einen neuen Ratgeber oder eine neue Methode um ganz schnell rank und schlank zu werden.
Was zum Teufel machst du da?
Als ich diesen Vortrag sah, fiel es mir wie Schuppen von den Augen: was zum Teufel machst du da? Du bist ein Genießer, ein Mensch, der eigentlich nur auf seinen Körper hören sollte. Ich bin ein intrinsischer d.h. nach innen gerichteter Mensch: Warum verbiete ich mir dieses oder jenes Essen? Ich beschloss, sofort mit dem Schwachsinn aufzuhören und mit der besten „Diät“ der Welt anfangen: Ich werde mit Achtsamkeit essen („Mindful eating“) und sehr genau auf meinen Körper hören. Das heißt nicht, dass ich wahllos alles in mich reinstopfe, sondern folgendes:
Mindful eating:
- Hineinlauschen: Warum esse ich? Habe ich tatsächlich Hunger oder esse ich aus Langeweile oder Frust?
- Unterscheiden: Habe ich Hunger oder nur Appetit?
- Ablenkungsfrei: Kein Fernsehen, Radio, Buch oder PC. Ich werde wieder lernen zu erkennen, wann ich satt bin.
- Einschränkungsfrei: Ich gebe mir die Erlaubnis alles zu essen, was ich will
- Nachhorchen: Wie fühle ich mich, nachdem ich dieses oder jenes gegessen habe?
- Vertrauen: Ich vertraue meinem Körper, dass er weiß, was und wieviel er benötigt
- Genussvoll: Was schmecke, rieche, sehe und höre ich beim Essen? Wie ist die Konsistenz, welche Nuancen schmecke ich heraus?
- Energie umlenken: Beim Essen selber bin ich zwar achtsam, aber ansonsten werde ich mir keine Gedanken mehr um Essen machen und meine Energie lieber auf andere Dinge lenken
- Freundschaft schließen: Essen ist kein Feind, den es zu besiegen gilt. Er ist ein Freund, der mir Gutes tun will.
- Bewegung: wenn ich unruhig werde, werde ich mich bewegen. Sport werde ich auch weiter treiben, solange es sich gut und richtig anfühlt.
Die individuellste Ernährung der Welt
Ziel ist es, dass mein Körper wieder sein Gleichgewicht findet und ich wieder mehr „Verbindung“ zu ihm aufbaue. Wie bei einem Freund, den man lange vernachlässigt hat. Nachdem ich das beschlossen hatte, fühlte ich mich wesentlich leichter. Als ob eine große Last von mir gefallen wäre. Nicht, weil ich mir die Lizenz zum Fressen gebe, sondern weil ich das Gefühl habe, dass es mir viel mehr entspricht als irgendeine Diät. Dies wird eine Ernährung, die gar nicht noch individueller sein kann. Zwar wird es am Anfang einige Zeit dauern wird, bis ich diese Verbindung wieder hergestellt habe, aber ich bin mir sicher, dass es sich voll lohnen wird.
Und ich wünsche euch, dass ihr diesen Weg auch für euch findet.
Zum Vertiefen: Hier noch ein sehr interessanter Bericht zur Set-Point-Theorie
Bei mir ist es auch ein auf und ab. Aber nicht weil ich verschiedene Diäten versuche, sondern weil es mir einfach schmeckt. Gerade um Feiertage lege ich ordentlich zu. Das hab ich aber schnell wieder runter, indem ich dann zum Obst greife, anstatt nen Stück Schokolade zu essen. Oder ich esse mittags dann ein Brot weniger und dafür mache ich mir Gemüsesticks.
Du hast es einfach mal erfasst, was Sache ist. Ich empfehle dir die Bücher von Herrn Pollmer, z.B. „Esst endlich normal“. Wenn dann noch bekannt würde, dass Figur und Gewicht auch von anderen Dingen als der Ernährung abhängen, genetischer Disposition, Alter, Sozialfaktoren, Krankheiten, Hormonen usw., ja wo kämen wir dann hin? Wir würden uns nicht mehr solche Sorgen machen.
(Bin über die Sternekocher zu Deinem Blog gelangt)
Vielen Dank. Ich würde mir wünschen, dass solche Artikel häufiger in Frauenzeitschriften auftauchen würden. Und zwar ohne, dass in der darauf folgenden Ausgabe wieder die nächste Diät angepriesen wird.